Zur Einführung des neuen Gesetzes über die „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ Die EU, ihre Werte und die lieben jungen Georgier

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Politik

„In der aktuellen politischen Situation in Georgien habe ich grosse Anstrengungen unternommen, um die georgische politische Führung davon abzuhalten, das Gesetz über die Transparenz ausländischer Einflussnahme zu verabschieden, das Georgiens Weg in die EU untergraben könnte.“

Kundgebung in Tiflis gegen das neue Mediengesetz, Mai 2024.
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Kundgebung in Tiflis gegen das neue Mediengesetz, Mai 2024. Foto: Lewak

Datum 7. Juni 2024
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Das sagte Olivér Várhelyi, der europäische Erweiterungskommissar, am Donnerstag (23.5.24) in einer offiziellen Erklärung, nachzulesen auf der Website der Europäischen Union.

Sind ein paar Nachfragen erlaubt? Oder fallen die bereits unter den von Ursula von der Leyen definierten Tatbestand der „Desinformation“?

Was hat die regel- und wertebasierte EU gegen ein Gesetz über die „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ in Georgien?

Tritt die EU nicht stets für mehr Transparenz ein? Und hier geht es um Transparenz bei Finanzströmen – und das in einem Land, dem allgemein „Korruption“ vorgeworfen wird. Was also spricht aus Sicht der „regelbasierten“ EU-Politik gegen ein Gesetz, das Finanzierungen offenlegt?

Ach so – es geht hier um die Finanzen von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO). Den Darstellungen der deutschen Politiker und ihrer Dolmetscher in den Leitmedien zufolge würde das das „Aus“ für viele dieser Organisationen bedeuten und damit eine ernsthafte Schädigung der georgischen „Zivilgesellschaft“.

Nun, das Gesetz sieht lediglich vor, dass NGO ausländische Finanzquellen offen legen müssen und dass sie, wenn diese mehr als 20 Prozent ihres Budgets betragen, zukünftig unter dem Label „Agent“ firmieren. Es geht also keineswegs um ein Verbot von aus dem Ausland finanzierten NGO, sondern eher darum, offen zu legen, wer alles unter welchem Namen mit welchen Interessen in ihr agiert – was man gut und gerne auch als Stärkung der georgischen Zivilgesellschaft bezeichnen könnte, Stärkung durch Information über das, was in diesem Land so vor sich geht.

Der georgische Staat selbst weiss über die Finanzströme durch seine Finanzämter sowieso Bescheid – wie der Korrespondent der Tagesschau darlegt (26.5.24).

Es geht der georgischen Regierung, die ihrerseits 2022 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt hat und als Beitrittskandidat angenommen wurde, also darum, die Einfluss-Kanäle auswärtiger Staaten über deren NGO publik zu machen. So würden Finanzierungen aus den USA und der EU öffentlich – und übrigens auch aus Russland, dessen Einfluss auf Georgien die europäischen und deutsche Politiker ja ständig skandalisieren.

Die EU gibt nach eigenen Angaben übrigens ca. 100 Millionen pro Jahr für die Förderung diverser „zivilgesellschaftlicher Projekte“ in Georgien aus und in Tiflis sind die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung und das Zentrum Liberale Moderne sowohl einzeln wie zusammen aktiv – selbstverständlich nur, um dem Land seinen Weg in die EU zu ermöglichen.

Das staatliche Bedürfnis nach solchen Informationen ebenso wie nach einer solchen öffentlichen (sprich: diskreditierenden) Kennzeichnung ist der EU und der deutschen Politik natürlich nur zu gut bekannt: Der russische Sender RT war schon lange vor seinem Verbot als vom „Kreml finanziert“ gelabelt. Und wird nicht aktuell gegen den AfD-Abgeordneten und zweiten Spitzenkandidaten für die EU-Wahl Peter Bystron ermittelt, weil er „Geld von Russland“ angenommen haben soll (Tagesschau, 16.5.24)?

Wieso würde ein solches Gesetz den Weg des Landes in die EU „untergraben“?

Diese Aussage des EU-Erweiterungskommissars enthält eine harte Ansage an den Beitritts-Kandidaten: Wenn Georgien dieses Gesetz verabschiedet, kann es sich seine Aussichten auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft abschminken. Der für den Erweiterungsprozess zuständige Kommissar verlangt von der Regierung und dem Parlament eines souveränen Staats Wohlverhalten – was er selbstverständlich im schönsten Diplomaten-Sprech formuliert: das Gesetz (!) würde „Georgiens Weg in die Gemeinschaft untergraben“ – und nicht etwa: die EU-Kommission wäre so erbost über die georgische Unbotmässigkeit, dass sie mit Abbruch der Verhandlungen droht.

Offensichtlich wird am Umgang mit diesem Gesetzesvorhaben allerlei durchexerziert. Das staatliche Bedürfnis nach Kontrolle auswärtiger Einfluss-Kanäle und deren öffentlichkeitswirksamer Kennzeichnung kennen die EU-Staaten, wie dargelegt, auch. Aber im Fall Georgien lassen sie dasselbe deshalb noch lange nicht gelten.

Das dortige Gesetzesvorhaben wird in den deutschen Leitmedien penetrant „russisches Gesetz“ genannt, womit gemeint ist, dass es ein ähnliches Gesetz in der Russischen Föderation gibt – das übrigens am Vorbild eines us-amerikanischen Gesetzes orientiert ist. Dieses Gesetz, nicht das us-amerikanische, sondern das russische natürlich, lehnen Deutschland und die EU ebenfalls ab, weil es die Kanäle ihrer Einflussnahme wenn schon nicht beschneidet, dann doch öffentlich und bei russischen Patrioten verdächtig macht.

Nebenbei: Es wäre ein eigenes Thema, westliche NGO in der Russischen Föderation, der Ukraine, Georgien und China darzustellen und zu analysieren; darunter viele religiöse Vereine (insbesondere evangelikale us-amerikanische), so genannte Menschenrechts-Organisationen, Parteistiftungen usw. Es gibt viele mit humanistischen Zielsetzungen (Aids-Aufklärung, Behindertenhilfe etc.); aber natürlich auch eine ganze Reihe, die eindeutig mit der Zielsetzung gegründet und finanziert werden, Proteste nach dem Muster der „Farbenrevolutionen“ zu fördern, die es in Georgien, der Ukraine, Kirgistan ja auch bereits gegeben hat.

Im Fall des kleinen und relativ machtlosen Georgien ist man in Brüssel offenbar der Ansicht, dass man solche Versuche, mit denen das Land auch künftig, nach einem EU-Beitritt, noch so etwas wie Ansätze einer nationalen Souveränität wahren will, nicht hinnehmen muss – und kommt dem Land mit entsprechend harten Bandagen. Unter anderem wurde eine zeitweise Aufhebung der Visafreiheit erörtert, womit man die auf ausländische Arbeitsplätze angewiesenen Teile der Bevölkerung weiter gegen die Regierung aufbringen würde.

Alle deutschen Stiftungen in Tiflis haben sofort ein gemeinsames Statement gegen das Gesetz abgegeben und stellen sich demonstrativ an die Seite der Proteste. Michael Roth, der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Bundestag, verlangt am 14.5.24 im Tagesthemen-Interview rundweg, dass das georgische Parlament das Gesetz zurückziehen müsse. So geht Respekt vor dem demokratischen Souverän in Georgien“! Roth hat sich – einen neuen Euromaidan beschwörend – nach Tiflis begeben, schwadroniert von dort als „der wahren Hauptstadt Europas“ und teilt der Regierung so bereits vor ihrem EU-Beitritt mit, wie es mit dem parlamentarischen Zirkus in Zukunft laufen wird.

In Tiflis hat SPD-Roth kein Problem damit, den „Druck der Strasse“ gegen das eindeutige Votum gewählter (!) Abgeordneter (84 zu 30) ins Feld zu führen und anzuheizen – was sich seine Partei in Deutschland mit Hinweis auf Wahl und Gewissensfreiheit der Parlamentarier stets verbeten hat (etwa bei den massenhaften Protesten gegen die Nachrüstung und der Asylgesetz-Änderung), die sich auch lässig über einen Volksentscheid in Berlin hinwegsetzt. Man muss halt immer schauen, was passt in Sachen Regeln und Werte.

Umsturz und Mord als Mittel der wertebasierten europäischen Aussenpolitik?

Irakli Kobakhidze, der georgische Regierungschef, hat in einer „auf Facebook veröffentlichen Erklärung“ ausgesagt, dass ihm der ungarische EU-Kommissar Várhelyi gedroht habe. Wörtlich „Du hast gesehen, was mit Fico passiert ist, und du solltest sehr vorsichtig sein.“ (jw 25.5.2)

Kein Dementi dieser Aussage durch Várhelyi! Stattdessen das eingangs zitierte offizielle Statement. Dort sagt Várhelyi quasi als Verständnis heischende Erklärung, er sei sich der „starken Pro-EU-Stimmung in der georgischen Bevölkerung bewusst“ und habe Angst vor einer „weiteren Polarisierung“.

Wenn das der Fall wäre und es eine so starke „Pro-Europa-Stimmung“ in Georgien gibt, wird es allerdings immer unerfindlicher, warum sich die EU vor einer Offenlegung ausländischer Finanzströme fürchten sollte – dann wären ja alle sowieso pro-europäischen Georgier nur froh und dankbar für das viele Geld, das jetzt schon fliesst und könnten allen, die noch nicht ganz so pro-europäisch denken, die Vorteile deutlich machen, die auf das Land warten…

Várhelyis Erklärung, seine Aussage „Du hast gesehen, was mit Fico passiert ist, und du solltest sehr vorsichtig sein.“ sei seiner Angst vor einer „weiteren Polarisierung“ bzw. „möglichen unkontrollierten Situationen auf den Strassen von Tiflis“, geschuldet, sollte man in diesem Fall durchaus auf die Goldwaage legen. Ganz im bewährten Stil warnt dieser Mann die georgische Regierung in ihrem ureigensten Interesse vor einer Entwicklung, die die EU offenbar heraufbeschwören will, wenn das Gesetz, das sie nicht mag, nicht zurückgenommen wird.

Und in der Tat: Genügend „junge pro-europäische Georgier“ gibt es wahrscheinlich, die naiv genug sind, angesichts der Perspektivlosigkeit in ihrem Land an die wunderbaren Möglichkeiten glauben, die ihnen in der EU oder den USA angeblich offenstehen und von denen sie angeblich „nur“ eine uneinsichtige Regierung trennt. Angeblich sind es allein in Tiflis Zehntausende, die finanziell direkt oder indirekt an den Jobs der NGO hängen – das sind die Leute, die Michael Roth gerne in einen neuen Euromaidan hetzen würde (für den es in Kiew dann allerdings noch ein paar trainierte Fascho-Trupps gebraucht hat, denn so viel Gewalt wie nötig ist mit den bunten und queeren jungen Euro-Fans denn doch nicht zu entfalten).

Halten wir als Ergebnis fest:
  • Die EU versucht mit aller Macht, das Gesetz über die Transparenz ausländischer Einflussnahme in Georgien zu verhindern. Sie wird schon wissen, warum ihr das wichtig erscheint und warum sie das so unbedingt durchsetzen will.
  • Sie droht dabei sogar mit Umsturz und Mord, nämlich einem weiteren Euro-Maidan bzw. dem Hinweis auf einen gerade angeschossenen und um sein Leben ringenden slowakischen Ministerpräsidenten, der durch kritische Töne Brüssel gegenüber unangenehm aufgefallen war.
  • Die EU zeigt schon jetzt, was sie von der Souveränität dieses Staats und der Unabhängigkeit seines Parlaments hält.
PS: Es ist vielleicht nicht unwichtig zu erwähnen, dass Salome Surabischwili, die amtierende georgische Staatspräsidentin, in den deutschen Leitmedien etwas falsch als „Pro-Europäerin“ tituliert wird. Die Frau ist Französin, stammt aus einer Familie von 1917 nach der bürgerlichen Februarrevolution nach Paris geflohenen Georgiern. Sie hat u.a. bei Zbigniew Brezinski an der Columbia Universität in New York studiert und war – bevor sie vor genau 20 Jahren einen georgischen Pass erhalten hat und umgehend Aussenministerin (!) des Landes wurde – als Botschafterin Frankreichs in Tiflis tätig. Vielleicht ist sie das bis heute.

Den Pass erhalten hat sie übrigens auf Bitten des inzwischen in Georgien nicht mehr so gut angesehenen und seit 2021 im Knast sitzenden Präsidenten Saakaschwili, der sich seinerseits in der „Farbenrevolution“ von 2003 gegen Edward Schewardnadse aufgebaut hatte. Zu seiner Biografie meldet Wikepedia: „1992 arbeitete er ein halbes Jahr am Norwegischen Institut für Menschenrechte in Oslo und beim Georgischen Menschenrechts-Komitee in Tiflis. 1994 war er als Stipendiat des Edmund S. Muskie Graduate Fellowship Program in den USA (…). 1995 promovierte Saakaschwili an der Gorge Washington Universität, Washington D.C. Zugleich arbeitete er in der international tätigen Anwaltssozietät Patterson, Belknap, Webb & Tyler in Manhattan.“

Nur um einmal einen Eindruck von westlichen Einflüssen auf das nation building in osteuropäischen Staaten zu vermitteln…

Renate Dillmann